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Alt 08.08.2009, 00:06   #23
Werner Schulte
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Themenstarter
Standard Abgasmessung

Moin,

ein Orsat-Gerät ist was ganz primitives und nur so genau, wie es vom Laboranten bedient wird. Regulär wird eine Gasmenge von 100 ml durch die verschiedenen Chemikalien geleitet und dann geschaut, wieviel ml durch welche Substanz absorbiert bzw. chemisch gebunden werden. Man kann das ziemlich weit treiben. So gibt es z.B. Indikatorflüssigkeiten, die sich einfach nur verfärben, wenn z.B. noch Restsauerstoff im Abgas ist.

So etwas hatte ich aber vor drei Wochen nicht und das wäre auch nicht mein Ansinnen gewesen. Ein paar ppm Sauerstoff findet man garantiert in jedem Abgas, aber hier ging es ja um die Frage, läuft der Motor echt zu mager, weil nicht genug eingespritzt werden kann, oder liegt mit Schnaps die Stöchiometrie noch im regulären Kennfeld der Motorelektronik. Hieße also, wenn der Motor zu mager ist, müßte man hinten echte Anteile messen können.

Ich erinnere mich noch sehr gut an die Messungen des BMW 635 CSI aus den 70/80er Jahren. Diese Maschine mit ihren damals gewaltigen 240 PS lief mit einem Luftüberschuß von 1,2 !! Das war also ein absoluter Magermotor, damals sozusagen der Höhepunkt der Kraftstoffausnutzung und Umweltfreundlichkeit. Das Thema Kat war noch keins und Stickoxide galten noch als Düngemittel, die bei jedem Gewitter zuhauf erzeugt werden.

Wir haben seinerzeit eine ganze Reihe Fahrzeuge abgasseitig gemessen. Es gab noch keine ASU oder AU, sondern die Raffinerie, in der ich als Student gearbeitet habe, wollte Methanol für Autos im ganz großen Stile vorantreiben. Es war das berühmte Projekt M100 (hat der eine oder ander vielleicht schon mal gehört)

Unter anderem ging es um die Frage, ob dieser Kraftstoff nicht zu gefährlich sei und zu umweltbelastend. Wir haben also Autos mit Benzin gemessen (damals noch bleihaltig) Die gleichen Fahrzeuge mit Methanol etc. und das ganze dann verglichen. Ethanol war auch gelegentlich untersucht worden aber mein damaliger Arbeitgeber hatte daran wenig Interesse. Es galt, die neu gebaute, supermoderne Methanolanlage so richtig auszulasten. Sie produzierte den Holzschnaps aus Abgasen einer anderen Anlage, die wiederum als Grundstoff Braunkohle verarbeitete. Die Zeichen standen damals auf Ölkrise in einer Form, die sich die Joungster heute nicht vorstellen können.

Soll nicht abwertend gemeint sein, aber zu unserer Zeit waren Sonntags die Straßen leer : Fahrverbot. Wir sind mit den Fahrrädern die Autobahn von Bonn nach Köln gefahren und fandens cool (hieß damals: dufte ).

Als der Kat kam und alle bereits getätigten Ingenieurleistungen in Sachen Magermotor und Benzin sparen dicke Ohrfeigen bekamen, war die Zeit einfach anders. Der Name "bleifrei" war in aller Munde, besonders in Politikermunde, und niemand hat gefragt, was denn nun anstelle des Bleis im Sprit sei => Substanzen, die weitaus gefährlicher sind als das bißchen Blei. Das Blei wurde ja nicht eliminiert, weil es Mensch und Tier und Pflanze umbringt, sondern einzig und allein, weil es den Katalysator zusetzt - ein Katalysatorgift eben.

Das haben damals auch die VW-Ingenieure sehr deutlich gesagt, es hat ihnen nur keiner richtig zuhören wollen.

Und so verbrauchten plötzlich alle Motoren wieder mehr Sprit - wegen der Stöchiometrie. Auch die Stickoxide wurden schnell zu Bösewichtern erklärt, weil man mit den Lambda-Sonden einfach nicht besser messen und regeln kann. So hatte alles wieder seine Ordnung und nichts mußte wirklich richtig geändert werden. Die Kunden klebten sich "Kat" hinten drauf und brausten wieder los. Benzin sparen, wer will das?????

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bluedog, zu Deinen Versuchen mit E85 vielleicht doch noch ein paar Erläuterungen:

Die Motorelektroniken arbeiten schon lange nicht mehr statisch, d.h., es werden weitaus mehr Parameter ausgewerten und neu gesetzt, als nur die reine Gemischskurve über die Drehzahl und Belastung.

Durch Öffnen der Drosselklappe kommt es im Saugbereich zu einem Druckanstieg. Dieser wird ständig gemessen und aufgrund des Signals wird die Einspritzmenge erhöht. Das geht zunächt mal auf blauen Dunst ("Festprogramm"), wird aber bald mit den im Abgas gemessenen Werten korrigiert. Lambda-Sonden sind extrem schnell. Halt mal an eine alte Sonde einen Gasbrenner und legen eine normales Voltmeter an. Kaum ist das Ding richtig heiß, zeigt es dir 1 Volt, sobald Sauerstoff dran kommt. Halte die Flamme genau drauf, und die Anzeige verschwindet. Gehe mit dem Brenner nur ein bißchen zur Seite und - schwupps, Anzeige wieder da. Das geht quasi ohne Totzeit. Ich hab das mal mit einer Sonde ausprobiert, die vom Marderbiß heimgesucht war und auf Versicherung ersetzt wurde - macht Spaß

Wenn also jetzt beim Druckanstieg und beim Zudosieren herauskommt, daß noch Sauerstoff im Abgas war, dann wird beim nächsten "Gasaufreißen" eben mehr eingespritzt. Solange muß die Elektronik sich gedulden, weil sie keine Vergleiche hat. Mißt sie hingegen gar keinen Sauerstoff, auch schon an der ersten Sonde vor dem Kat nicht, wird sie beim nächsten Mal weniger dosieren.

Das geht so über viele Ableitungen hinweg. Ich kann nicht genau sagen, über wieviele, aber die Tüftler haben schon das gesamte Spektrum des Fahreinsatzes von sportlich bis gemütlich berücksichtigt.

Die reine Drucksonde reicht aber nicht, weil sie nicht schnell genug ist. Leichtes Verschlucken wäre immer noch die Folge. Also wird die Verstellung der Drosselklappe selber mit hinzugenommen. Immerhin schneidet die Elektronik sofort mit, daß sich was bewegt. Da hat der Druckmesser es noch nicht bemerkt. Nun kommt der nächste Parameter: beim welcher Verstellgeschwindigkeit über welchen Drehwinkel bei welcher Drehzahl dosiere ich wieviel dazu, damit es sauber läuft?

So! Man darf also ohne esotherisch zu wirken sagen: der Motor muß sich erstmal gewöhnen. Die Parameter müssen neu gesetzt werden. Fahre mal mit einer starken Mischung einfach weiter. Du wirst Dich wundern, wie der Wagen jeden Tag besser damit fährt. Bis er sich gar nichts mehr anmerken läßt.

Nur das schlechtere Anspringen, das bleibt. Da hilft die beste Elektronik nichts.


Viel Text, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit




Gruß

WS
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